Gastbeitrag von Anne M. Schüller

Wie heißt es so schön: In eine offene Hand passt mehr als in eine geschlossene Faust. Kooperation ist besser also Konfrontation. Und der Siegeslauf der sozialen Netzwerke ist der vielleicht beste Beweis dafür. Zu einer der größten Herausforderungen in den Management-Etagen zählt es nun, zu verstehen, wie Gemeinschaften funktionieren. Denn dann verstehen sie auch, wie Erfolg in unserer neuen Businesswelt möglich wird.
Der kometenhafte Aufstieg des Social Web ist wohl der beste Beweis: Menschen sind höchstens ein ganz klein wenig ‚Ichlinge‘. Ihrem Wesen nach sind Menschen vor allen Dingen Netzwerk-Wesen, also sich sozial vernetzende Individuen. Es ist in unserer DNA, ‚social‘ zu sein. Unsere Hirne sind vor allem dafür gemacht, das Zusammenleben in einer Gruppe zu meistern. Wir sind lieber eingebettet in eine achtbare Gemeinschaft, als ständig ‚auf der Flucht’.
Isolation gehört zu unseren schlimmsten Ängsten. „Du bist nicht allein“, ist wohl das tröstlichste, was man einem Menschen sagen kann. Verlassen in der Wüste – der sichere Tod. Selbst, wenn es uns in die endlosen Weiten des Weltraums zieht, dann suchen wir nach menschlichen Lebensformen. Stammesgeschichtlich betrachtet ist das Social Web deshalb nichts anderes als eine neue Technologie, die uns mit anderen zusammenbringt, um Clans zu bilden.
„Nichts braucht der Mensch so sehr wie den Menschen.“ Das haben schon die alten Griechen gesagt. Und nichts kann diese Sucht derzeit besser stillen als das Internet. Denn zwei Dinge hat das Web dem wahren Leben voraus: Wir können dort schneller Beziehungen knüpfen – und gleichzeitig mehr Menschen um uns scharen. Dass das Web einsam macht, ist – bis auf Einzelfälle betrachtet – nur ein Gerücht. Genau das Gegenteil ist nämlich der Fall.
Wie Gemeinschaften funktionieren
Soziale Belohnung, also Anerkennung, Wertschätzung und Verbundenheit, das ist es, wonach wir am meisten lechzen. Als geachtetes Mitglied einer Gruppe zu gelten und wertvolle Beiträge für das Ganze zu leisten: Das Wort ‚social‘ drückt dies wohl am treffendsten aus. Es symbolisiert Solidarität, Gemeinschaft, Gruppenzugehörigkeit – über alle geographischen und kulturellen Grenzen hinweg. Es trennt nicht, sondern verbindet. Und es betont Ähnlichkeiten – was gut ist, denn nur über Ähnlichkeiten lassen sich Gegensätze entschärfen. Wer die gleichen Klamotten trägt, die gleichen Marken liebt, die gleichen Computerspiele spielt und die gleiche Sprache spricht, der ist für uns kein ‚Wildfremder‘ mehr.
Nur Kluften schaffen Konflikte. Kommunikation, Partizipation und Gleichrangigkeit haben schon immer für sozialen Frieden gesorgt. Und durch das Verstehen von Gruppendynamik können wir erfolgreicher sein. Wer nämlich Mitglied einer Gruppe ist, unterwirft sich den Spielregeln und sozialen Normen, die für diese Gruppe gelten. Ganz generell klingen sie so: ‚Hilf denen deiner Gruppe! Steh für sie ein! Sei stolz auf sie! Sprich gut über sie! Sei loyal!‘ So grenzt man sich nach außen gegenüber anderen Kohorten ab, was schnell auch mal zu Feindseligkeiten führen kann. Doch im Innenverhältnis steht man füreinander ein.
Das ‚Wir‘ zu fördern und auch zu feiern, zählt also mehr als das Heroisieren von Einzelerfolgen. Wobei Letzteres in vertriebsorientierten Organisationen leider immer noch Usus ist. Hierdurch gewinnen zwar einige Wenige, doch ein Großteil der Mitspieler wird zu Verlierern gemacht. Auch die Firma als Ganzes wird so am Ende Federn lassen. Denn wer gegeneinander läuft, wird im entscheidenden Moment den Anderen die Hilfe versagen – und wertvolles Wissen für sich behalten. Und schlimmer noch: Wenn etwa nur zehn Prozent aller in einem Team davon ausgehen, dass sich ein Incentive überhaupt erreichen lässt, dann sind 90 Prozent von vorne herein demotiviert. Dabei würde gerade auch deren Engagement dringend gebraucht.
Menschen sind auf Kooperation angelegt
‚Win-Lose-Konzepte‘, bei denen es wenige Gewinner und viele Verlierer gibt, werden nicht in die Zukunft führen. ‚Win-Win-Konzepte‘, bei denen Alle gewinnen können, sind dazu wesentlich besser geeignet. So setzt sich die These vom ‚Social Brain‘ auch in den Unternehmen immer mehr durch. Sie besagt, dass Menschen nicht primär auf Egoismus und Konkurrenz ausgerichtet sind, sondern auf Zuwendung und gelingende zwischenmenschliche Beziehungen. Kooperation ist der Normalfall bei sozialen Wesen. Erst wenn diese enttäuscht wird, reagieren wir mit Angriff. Aggression ist also ein Notfallprogramm. Und vorauseilende Aggressivität ist pathologisch.
Das verbreiten von Angst, Druck und Schrecken ist also ein Auslauf-Modell. Vor allem dort, wo Kopfarbeit nötig ist, ist Angst der größte Erfolgskiller. Mit Angst im Nacken kann man zwar ein kurzes Stück schneller laufen, aber nicht besser denken. Angst verengt die Augen und sorgt für den gefürchteten Tunnelblick. Der Fokus ist starr nach vorne gerichtet. Feine Details und alles, was sich rechts und links seitlich tut, ist einfach ausgeblendet und nicht mal mehr wahrnehmbar.
Angst ist der größte Leistungsblockierer
Die Erklärung dafür ist einfach: Bei Angst und Stress sind die Verbindungsstellen zwischen den einzelnen Hirnzellen, die sogenannten synaptischen Spalten, blockiert. Dort können dann die Hirnströme nicht ungehindert fließen, und wir können nicht mehr klar denken. In grauen Vorzeiten war dieser Mechanismus überlebensnotwendig, denn das Denken ist langsam, die Vollautomatik-Programme von Angriff und Flucht hingegen sind schnell. Indes ist heutzutage Kreativität existenziell. Und die wird durch Dauerdruck gänzlich blockiert. Anhaltender Stress führt zwangsläufig zu Leistungsabfall, zu Unfreundlichkeiten, zu häufigen Fehlern und zu angepasster Mittelmäßigkeit. Ergo: Wo Angst regiert, sinken die Überlebenschancen am Markt.
So ist es als erstes die Angst, die aus den Unternehmen verschwinden muss. Herausforderungen gemeinsam zu packen und mit Freude am gleichen Strang ziehen zu können – das ist die bessere Wahl. Die Wettbewerber im Markt als sportliches Feindbild zu sehen, ist womöglich eine förderliche Idee, das schweißt sogar zusammen und aktiviert Leistungsreserven. Das kann zudem mit einem Anreizsystem befeuert werden, solange der Kundenfokus dabei im Mittelpunkt bleibt. Doch innerhalb einer Organisation sind Feindbilder lebensgefährlich. Und wenn der Kunde zum Feindbild wird, dann ist das tödlich.
‚Social‘ als Wirtschaftsfaktor
Wie sich die ‚Weisheit der Vielen‘, also die im Web bündelbare kollektive Kreativität erschließen lässt, um bessere Produkte und Services zu gestalten, darüber habe ich in meinem Buch Touchpoints ausführlich berichtet. Eine Gemeinschaft, die sich einig ist, erreicht immer mehr als selbst der beste Einzelkämpfer. Und Gemeinschaft schützt. Wenn, so wie jetzt, die Dinge immer komplexer und damit auch bedrohlicher werden, rücken die Menschen enger zusammen. Und auch die Unternehmen stärken sich durch Zusammenschlüsse: Business-Netzwerke, Marketing-Kooperationen, Einkaufsorganisationen und Franchise-Systeme boomen.
Vor allem aber auf Konsumentenseite wächst die Solidarität. Ringsum mehren sich Angebote, denen eines gemeinsam ist: Sie unterstützen den Erfahrungsaustausch, das soziale Miteinander und das Teilen. Sharing- und Recyclingmöglichkeiten, Group-Buying, Vorteilsportale, Tauschbörsen, Shopping-Communitys und Schnäppchendienste sind heute ganz groß.
„Collaborative Consumption“ gilt als einer der wichtigsten gesellschaftlichen Trends der kommenden Jahre. Und die „Macht der Vielen“ setzt überall an: Interessen-Gruppierungen bilden sich und setzen tadelige Anbieter via E-Mail-Attacken, Hass-Seiten, Blog-Postings und Medienschelte unter Handlungsdruck. Online-gesteuerte Verbraucher-Boykotte sind schon längst ein Massenphänomen. Und sie treffen die Hersteller empfindlich. Das alles gilt im positiven Fall natürlich genauso. So wie Liebe und Hass liegen ‚Lovestorm‘ und ‚Shitstorm‘ nah beieinander.
Die Wertschöpfung in der ‚Wir-Ökonomie‘
Marken können sich das ‚Wir-Phänomen‘ in ganz besonderer Weise zunutze machen. Der Wert einer Marke entsteht ja nicht nur durch Produkteigenschaften, sondern auch durch den Austausch und die Interaktion mit anderen Nutzern in einer Community. Dieser Wert wird ‚Social Brand Value‘ genannt. Er steigert den Wiederkauf und damit die Kundenloyalität um durchschnittlich 15 Prozent. Das hat die Unternehmensberatung Vivaldi Partners zusammen mit der Innovationsagentur Hyve und der Universität Innsbruck schon im Jahr 2009 herausgefunden.
Soziale Vernetzung vergrößert auch die Bereitschaft, einen höheren Preis zu zahlen. Die Untersuchung von 19 globalen Online- und Offline-Marken zeigte schon damals, dass es Apple am besten schafft, den wahrgenommenen sozialen Nutzen der Marke in ein Preispremium zu übersetzen. „Das Produkt und das Markenimage allein sind dafür nicht verantwortlich“, so die Studienautoren.
Denn Apple’s Erfolg basiert auch auf dem phänomenalen Umgang mit der Nutzergemeinde, weg von einer aggressiven, verkäuferischen Kommunikation hin zu einer Moderation der Kommunikation von Nutzern untereinander. Die Marke muss noch nicht einmal für Product Placement, also dem Platzieren von Produkten in Firmproduktionen bezahlen. Apple hat keine Kunden, sondern Jünger, Bekehrer, Evangelisten. Und beinahe jedes Signal, das Apple in die Öffentlichkeit schickt, sorgte bislang für kollektive Erregung. So berichteten die Medien wie folgt: „Paris: Schlange vor Apple-Store länger als die vor der Mona Lisa.“
Kooperation ist besser als Konfrontation
Dass Aggression und Konfrontation auf Dauer die besten Ergebnisse bringt, das sind Kopfgeburten vereinsamter armer Alphatierchen in den Zentren der Macht. „In einer vernetzten Welt hat man die Dinge grundsätzlich nicht mehr im Griff. ‚Command and Control‘ haben ausgedient“, sagte der Netzwerkforscher Peter Kruse in einem Interview mit dem Börsenblatt. Ein dauerkompetitives Umfeld ohne jeden Spaßfaktor macht nicht nur die Mitarbeiter, sondern schließlich das ganze Unternehmen krank. Und wer sich im Blitzkrieg mit der internen und/oder externen Konkurrenz zerreibt, der hat am Ende keine Kraft für die eigenen Kunden mehr.
Die Spieltheorie hat schon längst herausgefunden: Kooperation ist, wenn man langfristige Erfolge im Auge hat, die bessere Wahl. Diese als ‚Tit for Tat‘ bekannt gewordene Strategie besagt, dass am ehesten gewinnt, wer zunächst vertrauensvoll in eine Beziehung investiert – und sich danach immer genau so verhält wie sein Gegenüber. Solches Vorgehen sichert allen Beteiligten Zugewinne – ohne zu zerstören. Nicht die Maximierung des Eigennutzens, sondern die Stärkung der Gemeinschaft, dies ist zunehmend wirtschaftlich. Und mitzuhelfen, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen, das ist sozial.
Mehr zu Anne M. Schüllers Buch “Touchpoints” auf Managementbuch.de
“Social Brain” gefällt mir sehr gut! Ob die Welt dadurch allerdings gleich besser wird, sei dahingestellt. Zwei unterschiedlich gepolte “Social Brains” reichen für einen riesen Krach.
Sicher aber ist, dass auf der Unternehmensebene definitiv eine neue Zeit einzieht oder schon eingezogen ist. Denn ‚Command and Control‘ funktioniert allein schon deshalb nicht mehr, weil man Kreativarbeit nicht mehr tayloristisch messen kann. Deshalb gibt es eine Verschiebung von der Prozessorientierung hin zur Ergebnisorientierung. Nach wie vor gilt: wer nicht liefert, fliegt. Aber die Lieferbedingungen haben sich geändert.
Eigennutz und Gemeinnutz
Wenn man Reichtum als Verfügungsmacht über Personen, Wohlstand hingegen als Verfügungsrecht über Dinge übersetzt, dann wird in einer freien Wettbewerbsordnung der skizzierten Art der Reichtum der Wenigen durch den Wohlstand der Vielen abgelöst werden. Reichtum und Armut, diese beiden ebenso ungleichen wie unzertrennlichen Geschwister, werden dann gleichermaßen der Vergangenheit angehören.
Die Durchführung der vorgeschlagenen Reformen wird eine Wirtschaftsordnung ergeben, die mit vollem Recht als eine Natürliche Wirtschaftsordnung bezeichnet werden kann, natürlich deshalb, weil sie der Natur der Menschen in jeder Beziehung gerecht wird. Diese Natur haben wir als vorwiegend eigennützig kennen gelernt. Heute, unter der Herrschaft der Monopole, widerstreitet die Betätigung des Eigennutzes oft genug dem gemeinen Wohl. Daher die gut gemeinten Ratschläge der Moralisten und Ethiker, den Eigennutz zu bekämpfen. Sie haben nicht begriffen, dass der Eigennutz an und für sich durchaus am Platze ist, und dass es nur einige rein technische Mängel unserer Wirtschaft sind, derentwegen der Eigennutz so häufig zu Ungerechtigkeiten führt. In einer monopolbefreiten Wirtschaft hingegen, in der es nur eine Art des Einkommens, den Lohn, geben wird, laufen Eigennutz und Gemeinnutz dauernd parallel. Je mehr die Einzelnen dann, ihrem Eigennutz gehorchend, arbeiten, umso besser werden sie den Interessen der Allgemeinheit dienen.
Der heutige endlose Widerstreit zwischen Eigennutz und Gemeinnutzen ist eine ganz zwangsläufige Folge des herrschenden Geldstreik- und Bodenmonopols. Eine von diesen beiden Monopolen befreite Wirtschaft entzieht diesem Widerstreit für immer die Grundlage, weil in ihr der Mensch aus Eigennutz stets so handeln wird, wie es das Gemeininteresse erfordert. Die seit Jahrtausenden von Religionsgründern, Religionslehrern, Philosophen, Moralisten usw. aufrecht erhaltene Lehre von der Sündhaftigkeit der menschlichen Natur wegen ihrer Eigennützigkeit findet damit ein für allemal ihr Ende. Es ist keineswegs notwendig, dass wir, diesen Lehren folgend, uns durch Äonen hindurch abmühen, um uns selbst zu überwinden, um eines Tages vielleicht doch noch gemeinnützig zu werden – sondern wir können schon jetzt, heute, in dieser Stunde, die Verbrüderung der bisherigen Widersacher Eigennutz und Gemeinnutz vollziehen. Es ist dazu nicht erforderlich, dass wir den Menschen reformieren, es genügt vielmehr, wenn wir das fehlerhafte Menschenwerk, unser Geldwesen und Bodenrecht, ändern.
http://opium-des-volkes.blogspot.de/2012/12/die-losung-der-sozialen-frage.html