Frank Schirrmacher will, über seine Position als FAZ-Feuilletonchef hinaus, Debatten anregen. Das ist ihm mit „Das Methusalem-Komplott“ geglückt und das glückt ihm nun wieder mit seinem neuen Buch „Ego“. Wie im Methusalem-Komplott nimmt er auch in seinem neuen Buch das diffuse Unbehagen an gesellschaftlichen Entwicklungen auf und gibt ihm eine Stimme. Wir sind nicht mehr Herr unserer selbst, so seine Diagnose, sondern Marionetten monsterhafter Systeme. Viele überraschende Zuspitzungen, viel Material und pointiert geschrieben. Auch wenn Schirrmacher stellenweise arg in die verschwörungstheoretischen Saiten haut – die Debatte, die er damit anregt, ist wichtig.
Von Datenkraken und Finanzmonstern
Schirrmachers Diagnosen sind eindeutig. Die Finanz- und Informationssysteme haben ein Eigenleben entwickelt, das kein Mensch mehr steuern kann. Das umgekehrt die Menschen steuert. „Monster“ nennt er deshalb das Finanzsystem, das zuerst Sparer, dann Banken, dann Staaten ins Nichts stürzte. Flankiert wird das Finanzmonster von Daten- und Informationsmonstern, die aus Algorithmen Wünsche machen und aus diesen Wünschen Menschen formen. Von Michel Foucault leiht sich Schirrmacher das Eingangszitat. Und wie Foucault in „Überwachen und Strafen“ so zeigt Schirrmacher in „Ego“, dass die Machtapparate nicht gegen uns wirken, sondern durch und hindurch. Wir produzieren selbst, was uns zur Strecke bringt. Nicht unbedingt meine Sicht der Dinge. Aber eine mögliche Sicht der Dinge.
Der künstliche Mensch zieht die Fäden
Der Clou an Schirrmachers Argumentation: Er verortet diese Entwicklung im sogenannten Kalten Krieg, als die Idee des Homo oeconomicus, also des rational handelnden Menschen, als Leitbild mächtig geworden sei. Eine Denkhaltung, mit der in Folge die Computer gefüttert wurden, um schließlich, so Schirrmacher, als „Nummer 2“, als Mensch hinter dem Menschen ein Eigenleben zu führen. Und zwar als egoistischer, profitmaximierender Geier.
Nichts ist, wie es scheint
Schirrmacher bewegt sich rasant durchs Gelände. Fährt Vance Packard auf, der in den 70er Jahren vor den „geheimen Verführern“, gewarnt hat, steigt in die Katakomben des Pentagons, in den Kopf des Nobelpreisträgers John Nash und seziert die Aussagen Alan Greenspans vor dem amerikanischen Kongress. Er verbindet Aktiencrashs mit Fukushima und den „Like-Button“ von Facebook mit der Bauhausarchitektur im Silicon Valley. Damit sagt er vor allem: Es ist nichts, wie es scheint. Und wer an die hilflosen Banker denkt, an die stammelnden Politiker, an die Experten, die heute dies und morgen das verkünden, der merkt, dass Schirrmacher genau hier den wunden Punkt trifft.
Alles wird dem ökonomischen Denken einverleibt
Hochinteressant ist „Ego“ auch deshalb, weil die Neuropsychologie seit Jahren mit der Beerdigung des Homo oeconomicus beschäftigt ist. Nicht der Verstand sei es, der uns regiert, sondern die Emotionen. Weder Verstand noch Emotionen, sagt Schirrmacher, sondern das Monster, beziehungsweise „Nummer 2“ ist es, das „uns“ regiert und steuert. Und die sind rational zum Erbrechen. Verwandeln alle menschlichen Äußerungen und Handlungen in Ware. Kleben überall einen Preis drauf. Was tun? Schirrmacher ruft freilich nicht den Klassenkampf aus. Schließlich haben Monster weder Namen noch Adresse und sind höchstens in Computerspielen zu besiegen. Stattdessen liefert Schirrmacher seinen Lesern eine spannende Brille. Durch die sieht man Ketten, wo mit Leuchtschrift „Freiheit“ steht.
Wolfgang Hanfstein, www.Roter-Reiter.de
Frank Schirrmacher: Ego. Das Spiel des Lebens. Blessing 2013
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