Schema-Coaching: Arbeit von Mensch zu Mensch, nicht von Rolle zu Rolle

Ein Interview mit Dr. Björn MiggeDr. Björn Migge

Autor des Buchs »Schema-Coaching. Einführung und Praxis: Grundlagen, Methoden, Fallbeispiele«

 
Lieber Herr Dr. Migge, können Sie bitte mit wenigen Worten beschreiben, was Schema-Coaching ist?

Um gleich ein mögliches Missverständnis aus dem Weg zu räumen: Es geht im Schema-Coaching nicht um ein »Schema F«, sondern um tiefe Grundmuster, sogenannten Schemata, die in der frühen Kindheit gebildet wurden und über weite Strecken auch heute noch unser Leben beeinflussen. Manchmal anders, als wir es uns als Erwachsene wünschen würden. Dr. Jeffrey Young hat die Schemata für die moderne Verhaltenstherapie klassifiziert und die sogenannte Schematherapie begründet, die nachweislich sehr erfolgreich ist. Diesen Ansatz übertrage ich ins Coaching oder möchte ihn hier bekannt machen: Es ist ein integrativer, also begründeter »Mix« aus modernster Verhaltenstherapie, Imaginationsarbeit, Bindungsforschung, Zentrierung am Klienten, Aufstellungsarbeit aus Gestalt und Psychodrama, Akzeptanz & Achtsamkeit und anderen Elementen. Einzelnes habe ich noch von woanders dazu gepackt: Ideen der emotionsfokussierten Therapie, den Heroic-Client-Ansatz – in dem der Klient viel ernster genommen wird als bisher – und die Orientierung an Wirkfaktoren und einige Erkenntnisse Carl Rogers.

 
Was bewirkt ein Schema-Coaching? Was macht es möglich?

Die »ganze Palette« aus besonderer Beziehungsgestaltung und den Veränderungswerkzeugen des Schema-Coachings führt zu tiefgreifenden Veränderungen. Denn es wird zunehmend nicht an den »äußeren Zwiebelschalen« gearbeitet, sondern auch mit tiefen inneren Werten, Grundbedürfnissen,
kindlichen Anteilen, Abwehrmustern und Ähnlichem. Schema-Coaching ist daher auch stark emotional aktivierend und bewegt die Klienten auf vielen Ebenen. Aber Achtung: Manche Klienten wollen danach nicht mehr »noch besser funktionieren«, sondern suchen sich dann plötzlich einen Weg im Leben, der ihrem inneren Wesen besser entspricht. Im Business-Coaching wäre das heikel, wenn gerade das bessere Funktionieren der Auftrag an den Coach war. 

Was gefällt Ihnen so gut an diesem Ansatz?

Ich liebe »tiefe und echte« Arbeit; wirklich von Mensch zu Mensch und nicht nur von Rolle zu Rolle: Arbeit an Werten, Lebenszielen, Grundeinstellungen, Emotionen, Hoffnungen, Ängsten, inneren Bildern, Körpergefühlen, … Das ist im Schema-Coaching ebenso wie in der Schematherapie besonders gut möglich. Außerdem mag ich die große Vielfalt an Herangehensweisen, mit der Klient und Coach gemeinsam arbeiten können.

In welchen Beratungssituationen empfehlen Sie das Schema-Coaching?

Einzelne Elemente können in jeder Beratungssituation genutzt werden. Das tun viele Coaches auch bereits. Wenn jedoch der gesamte komplexe Ansatz zum Einsatz kommen soll, dann ist das vermutlich eher in tiefgreifenden Anliegen passend: Wenn Klienten »schon immer« in bestimmte Fettnäpfchen getreten sind, sich mit belastenden oder begrenzenden Gedanken, Bildern, Einstellungen, Beziehungen oder immer wieder auftretenden Situationen konfrontiert sehen; sozusagen in sie hineinschlittern. Wenn also störende Grundmuster die Klienten an ihrer Entfaltung hindern oder ihnen Lebenslust nehmen, dann ist mehr als nur Reden angesagt. Und Schema-Coaching ist eindeutig viel mehr als nur Reden!

Erleben Sie seitens der Klienten Widerstände, innere psychologische Vorgänge mit Ihnen als Coach zu besprechen?

Coaching ist Vertrauenssache. Wenn die Begegnung schrittweise immer echter und vertrauensvoller wird, dann ist es auch nicht mehr erforderlich, sich gegenseitig hinter Schutzschildern zu verstecken. Dann darf vieles endlich mal Raum und Zeit haben, was entweder lange vergessen war, nie bemerkt wurde oder immer sorgsam verdeckt wurde. Wie in jedem guten Coachingansatz kann die partnerschaftliche Arbeit aber wirklich nur mit Vertrauen funktionieren. Die Klienten möchten ja etwas für sich entdecken und verändern. Es ist niemals so, dass ein Coach den Klienten etwas Unangenehmes oder intimes aus der Nase ziehen würde. Stattdessen steuern beide Partner Tempo, Temperatur und Richtung des Prozesses.

Und falls nun doch Vorbehalte oder Widerstände auftauchen – wie begegnen Sie ihnen?

Widerstände sind immer da. Sie zeigen Klienten auf, wo sie nicht hinschauen möchten, was ihnen unliebsam ist oder was sie nicht »akzeptieren« möchten. Im Schema-Ansatz nennt man eine Form von Widerstand den »Bewältigungsmodus«. Das ist so etwas wie ein innerer Teil, der sicherstellt, dass zunächst alles im Lot bleibt und das bestimmte Inhalte des Bewusstseins zunächst nicht angerührt werden. Dieser »Teil« verbraucht viel Lebensenergie oder wird zu so etwas wie ein Pseudoselbst. In Imaginationen oder in kleinen Aufstellungen (Stuhlarbeit und Ähnliches) wird dieser innere Widerstand auf die Bühne geholt und darf sich hier äußern. Die Arbeit mit »Widerständen« ist sehr wertvoll und lehrreich für die Klienten. Für viele Coaching- oder Therapieanlässe ist sie der Schlüssel. Eine andere Form des Umgangs mit »Widerständen« ist eine akzeptierende Haltung gegenüber inneren Stimmen; insbesondere der Stimmen des Widerstandes: Die Klienten lernen im Schema-Coaching recht früh, sich von inneren Teilen, Gedanken, Strebungen zu distanzieren und sie aus einer
Metaperspektive akzeptierend und beobachtend wahrzunehmen. Auf diese Weise blicken sie dann auch lächelnd zu ihren »Widerständen«. Aber auch hier gilt wieder: Vertrauen und partnerschaftliche Arbeit ist das A und O. Und der vertrauensvolle Arbeits- und Beziehungsrahmen macht vieles möglich.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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In “Schema-Coaching” erläutert Migge, wie sich die Schematherapie entwickelt hat und führt anhand von lebendiger Theorie, vielen kurzen Fallvignetten und Beispielen in die Praxis der Schemaarbeit ein. Mit diesem Buch liegt Ihnen ein »roter Faden« vor, der zeigt, wie sie verschiedene Methoden gekonnt verknüpfen können und damit Ihren Klienten in 15 Schritten zu einer positiven Veränderung führen.

Björn Migge: „Schema-Coaching – Einführung und Praxis: Grundlagen, Methoden, Fallbeispiele“, Beltz

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