“Meetings sind wie Fieber” – Lars Vollmer im Gespräch

Der Autor von "Zurück an die Arbeit" nahm sich Zeit für ein Gespräch.

Porträt Lars VollmerEr hat mit “Zurück an die Arbeit” ein bemerkenswertes, lesenswertes, ja auch provokantes Buch geschrieben. Wir hatten die Gelegenheit, Lars Vollmer ein paar Fragen zu seinem Buch zu stellen.

“Zurück an die Arbeit” – Sie beginnen die ersten Seiten  mit dem Appell, dass in Unternehmen mehr gearbeitet werden müsste. Vom Burnout bedrohte Führungskräfte, die 100 oder 150 E-Mails am Tag bearbeiten und 60 Stunden die Woche arbeiten. Wie sollen die noch mehr arbeiten?

Dazu muss ich zunächst den Unterschied zwischen echter Arbeit und Arbeitstheater erklären. Mit echter Arbeit meine ich Arbeit für andere, also Tätigkeiten, die einen direkten Marktbezug haben oder die Probleme von Kunden lösen – sonst sind sie bloße Beschäftigung.

Ich habe dafür eine leichte Formel: Wenn ein Mehr einer Tätigkeit den Erlös steigert, dann ist es Arbeit. Vieles von dem, was heute in Organisationen stattfindet, erfüllt aber den Tatbestand der Verschwendung. Es dient beispielsweise schlicht dem Erhalt interner Strukturen, also der Macht-Hierarchien und funktionaler Teilung. Das hat nichts mit Wertschöpfung zu tun, sondern führt zu Theater.

Mehr zu arbeiten ist also nicht gleichbedeutend mit länger oder härter arbeiten. Ich meine damit, den Teil der Zeit, der in Unternehmen mit Theater verschwendet wird, herunterzuschrauben und dadurch den Anteil echter Arbeit wieder zu erhöhen.

Wann haben Sie beschlossen, dass es Zeit für dieses Buch war? Wie kamen Sie zu dieser Idee?

Ich beobachte seit über 20 Jahren Unternehmen – früher als Berater und jetzt als Unternehmern und Gründer des Think Tanks intrinsify.me. Dabei habe ich in Unternehmen aller Couleur unglaublich viel Frust und psychisches Leid entdeckt und habe den Eindruck, dass das Leid der Leute in den letzten Jahren dramatisch zugenommen hat.

Es erzeugt bei vielen Menschen inzwischen körperliche Schmerzen, in einem Meeting zu sitzen, in dem alles schon gesagt wurde, nur noch nicht von jedem. Oder in einer Budgetverhandlung zu taktieren. Das Schlimme ist, dass alle darunter leiden – Chefs, Mitarbeiter und das Unternehmen als Wirtschaftssubjekt.

Bereits auf den ersten Seiten Ihres Buches beschreiben Sie Situationen und Rituale, die so fast jeder Arbeitnehmer und jeder Manager kennt. Besonders die Darstellung des “idealen Meetings” und der bekannten Realität ist sehr eindrucksvoll. Besteht hier denn keine Hoffnung auf Besserung? Schließlich gibt es ja auch Beispiele für effiziente Meetingkultur etwa bei Google. Wieso genügt es Ihrer Ansicht nach nicht, einfach Regel für ein solches ideales Meeting aufzustellen?

Weil auch ein ideales Meeting Verschwendung ist. Natürlich gibt es Möglichkeiten, Meetings besser zu gestalten, aber der Grund, warum überhaupt ein Meeting gemacht wird, liegt nur oberflächlich darin, Zusammenarbeit zu organisieren. Hauptsächlich liegt er in der Erhaltung der Unternehmensstruktur. Meetings sind tote Kommunikation, wo Lebendigkeit angebracht wäre.

Sehen Sie es so: Meetings sind wie Fieber – ein Symptom einer durch die Dynamik moderner Märkte erkrankten Organisation. Meetings sind also nicht das eigentliche Problem, sondern die Art der Organisation, mit der tatsächlichen Krankheit zumindest vorübergehend fertig zu werden. Natürlich können Sie wie bei Fieber Wadenwickel in Form von Meetingregeln verordnen, aber völlig gefahrlos ist das nicht, da der Körper das Fieber ja braucht, um die Krankheit zu bekämpfen – und Kundenprobleme löst es schon gar nicht.

Wenn Sie von einer scheinbar effizienteren Meetingkultur in so manchen Unternehmen sprechen, haben Sie schon recht. Die ist aber eher die Folge einer anderen Organisation als Folge anderer Regeln.

Wissensmanagement ist nach wie vor ein großes Thema in Unternehmen. Gerade KMU tun sich da nach wie vor schwer. Nun schreiben Sie “Wissen wird gnadenlos überschätzt”. Stattdessen brauche man “Könner”. Was meinen Sie konkret damit? Wie kann ich denn solche Könner, vielleicht sogar unter meinen Mitarbeitern identifizieren?

Ich sehe einen großen Unterschied zwischen Wissen und Könner. Nehmen Sie das Beispiel Fahrradfahren: Sie können viel über Schwerkraft, Drehmomente, Felgen, Übersetzung, Material von Fahrrädern etc. wissen, aber dadurch können Sie noch lange nicht Fahrrad fahren. Das müssen Sie selbst erlernen, indem Sie es tun. Sie müssen ein Gleichgewichtsgefühl entwickeln – und das geht eben nicht durch Anhäufung von Wissen.

Könnerschaft entwickelt – und zeigt – sich also nur in der Auseinandersetzung mit dem Problem. Um Könner zu identifizieren, müssen Sie Personen also mit einem echten Problem provozieren und dann schauen, wie sie sich dabei anstellen. Einen guten Fußballer erkennen Sie ja auch nur, wenn er sich in einem wichtigen Punktspiel auf dem Platz bewährt – nicht durch das Ausfüllen eines Wissenstests.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sagen Sie im Kern ja, dass die bisherigen tradierten Organisationsformen für die aktuellen Herausforderungen und Märkte nicht mehr tauglich sind. Sondern im Kern dazu führen, dass sich Unternehmen (aus verschiedenen Gründen) zu viel mit sich selbst beschäftigen. Was sagen Sie den frischen Absolventen, die viel über Organisationsformen gehört und gelesen haben? Alles für die Katz? Wie lässt sich denn eine passende Organisationsform finden?

Nein, es ist nicht alles für die Katz. Es kann schon nützlich sein, über verschiedene Organisationsformen Bescheid zu wissen. Es besteht aber die große Gefahr, dass den Studierenden damit das Selberdenken abtrainiert wird und sie die gelernten Formen als Blaupause interpretieren – ob gewollt oder ungewollt.

Allerdings ist für jede Aufgabe eine andere Organisationsform nötig, weil Aufgaben temporär und individuell sind. Es braucht also immer die Rückbesinnung auf den Grund der Zusammenarbeit, die da organisiert werden soll. Was ist es für eine Aufgabe? Warum braucht es die Zusammenarbeit bzw. warum schafft das keiner alleine? Und welche Leute können am besten zur Wertschöpfung beitragen? Über diese Fragen finden Sie die passende Organisationsform für jedes einzelne Problem.

Man könnte auch sagen: An Universitäten sollten lieber Denkwerkzeuge statt Organisationsformen gelehrt werden. Oder anders: Studierenden sollten lernen zu kochen, anstatt Rezepte auswendig zu lernen. Sonst bekommen Sie immer und immer wieder das gleiche Gericht.

Das Gespräch führte Stephan Lamprecht. Wir haben sein Buch “Zurück an die Arbeit” bereits rezensiert.

Zur Person:
Lars Vollmer, promovierter Ingenieur und Honorarprofessor, ist Unternehmer und Mitbegründer von intrinsify.me, dem größten offenen Think Tank für die neue Arbeitswelt und moderne Unternehmensführung im deutschsprachigen Raum. Er lehrt an mehreren Universitäten und Instituten und ist gefragter Redner auf internationalen Kongressen und Unternehmensveranstaltungen. Er spielt Jazzpiano, trinkt gerne Weltklasse-Kaffee und lebt in Barcelona. Sein neuestes Buch »Zurück an die Arbeit – Wie aus Business-Theatern wieder echte Unternehmen werden« ist 2016 im Linde Verlag erschienen.

1 Kommentar zu “Meetings sind wie Fieber” – Lars Vollmer im Gespräch

  1. … ist zwar üblich, aber nicht zielführend, über Meetings zu schimpfen. Fakt ist doch, dass Meetings aus ganz unterschiedlichen Gründen wichtig sind: um alle Projektteilnehmer ins Boot zu holen, um sich auszutauschen, um Konflikte aus dem Weg zu räumen etc. Sie sind der kommunikative Schmierstoff, der alles am Laufen hält.

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