Wenn Menschen nicht mehr von ihrer Arbeit leben können

Wir alle haben uns an eine Mentalität gewöhnt, einen möglichst geringen Preis zu bezahlen. Die Erfolge von Billigfluglinien (Ryanair) oder Bekleidungsketten (Primark) sprechen für sich. Und nur die wenigsten Konsumenten machen sich Gedanken darüber, was der nette aber gehetzt wirkende Paketbote, der die Päckchen von Amazon bringt, eigentlich verdient. Faire Bezahlung ist jedenfalls kein Thema, das in seiner ganzen Breite öffentlich diskutiert wird. Das Phänomen des „Aufstockens“, also des Bezugs von Sozialleistungen, um am Ende eines Monats noch über die Runden zu kommen, ist keine Erscheinung einer so genannten „Unterschicht“ mehr. Inzwischen machen sich zunehmend auch Angehörige der klassischen deutschen Mittelschicht Gedanken: Lehrer, Krankenschwestern, Piloten oder sogar Ärzte.

Vom Wert der Arbeit

Arbeit darf offenbar nicht mehr kosten. Immer mehr Menschen können vom Lohn für ihre Arbeit nicht mehr auskömmlich leben. Und das betrifft immer häufiger Berufe mit hohem Ansehen. Das in TV-Serien der 70er und 80er gezeigte Bild der „glücklichen Familie“, in denen der Vater allein verdient, während sich die Kinder auf Hobbys und musische Erziehung konzentrieren konnten, während die Mutter sich daheim um Haushalt und Familie kümmerte, ist Geschichte.

Die renommierte Journalistin Anette Dowideit sieht diese Entwicklung mit Sorge. Denn Arbeit ist eben nicht nur Erwerbsquelle, sondern bedeutet für die Menschen sehr viel mehr. Doch was macht es mit Menschen, wenn sie von etwas, mit dem Sie sich identifizieren, nicht mehr auskömmlich leben können? Wenn die Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes, die Frage, wie die steigende Miete bezahlt werden soll, den Alltag prägen?

Spurensuche und Plädoyer

Die Autorin warnt vor dem Eintritt amerikanischer Verhältnisse auch in Deutschland: Einer immer kleineren Schicht der Reichen gehört immer mehr, während die meisten Menschen mehrere Jobs brauchen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Um sich am Ende des Monats doch bei Suppenküchen und Tafeln anstellen zu müssen, um so noch eine warme Mahlzeit zu erhalten.

Sie begibt sich auf die Spurensuche, was zum Wachsen prekärer Arbeitsverhältnisse führt. Sie hat in zahlreichen Branchen recherchiert und erklärt, wie auch unser eigenes Konsumverhalten dazu führt, dass Menschen nicht mehr von ihrer Arbeit leben können. Positive Arbeitsmarktzahlen, die letztlich nur Beschäftigung zählen, aber nicht nach deren Auskömmlichkeit fragen, sind schlicht zu oberflächlich.

Denn die bedrückende wirtschaftliche Situation in vielen Branchen und die Unzufriedenheit mit dem Ertrag der eigenen Arbeit bergen auch Sprengstoff, nicht nur für den sozialen Frieden in der Gesellschaft, sondern für unsere demokratische Ordnung überhaupt. Das zu ändern, ist nicht nur eine Aufgabe der Politik, sondern von uns allen, die wir uns an günstige Preise und „Schnäppchen“ gewöhnt haben.

Arbeit muss wieder mehr Wert sein: Das Buch zeigt Wege dazu auf und will die Diskussion zum Thema befeuern.

Management-Journal-Fazit: Ein unaufgeregter Beitrag zu einer wichtigen Frage unserer Gesellschaft. Klar in der Analyse, gründlich recherchiert und spannend zu lesen. Anette Dowideit ist ein kluges Buch gelungen, das einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über die Zukunft der Arbeit leistet.

Stephan Lamprecht

Die Angezählten

9.7

Lesbarkeit

10.0/10

Nutzwert

9.0/10

Anspruch

10.0/10

Pros

  • Umfassende Recherche
  • Wichtiger Diskussionsbeitrag

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